Hermes, Gnosis und die Kunst des Übersetzens
(Rede anläßlich der Verleihung des Übersetzerpreises der Robert Bosch-Stiftung, gehalten im Deutschen Polen-Institut, Darmstadt, am 27. Mai 1987 - Zitat)
"[...] Der Gott, der die Menschen zur Erfüllung der Mission des Übersetzers beruft, [...] ist Hermes Trismegistos, der "ewig günstige Dämon", wie ihn Goethe nennt, der schöne, der strahlende, jugendliche, freudige, scharfsinnige, kraftvolle und heitere Gott, auch Hermes Logios gennant.
Der griechische Hermes, im alten Ägypten als Toth und Anubis offenbart, wurde sogar direkt "prophetes" genannt - der Übersetzer - und als solcher ist er ewiger Beschützer und Vorbild aller Übersetzer.
Was von dem "Hermetischen" lebt in jedem Übersetzer fort?
Hermes ist vor allem ein Gott-Archetypus der Dynamik, des Wandels von Sein und Nichtsein, ein Gott des Glücks, des Gewinns und Verlustes, daher auch der Kaufleute und der Diebe, ein Gott des Spiels. Und was sonst ist die Berufung und das Bestreben des Übersetzers als eine anhaltende dynamische Verwandlung von Gedanken und Worten, als eine vielfarbige Wandelbarkeit der Gefühlsübertragung, als ein Spiel von Erinnerung und Einbildungskraft, als ein ernstes Spiel des Vermittlung von Wünschen und Wollen?
Hermes ist auch ein Gott der Einheit der Gegensätze und der Einheit des Zweideutigen oder der Vieldeutigkeit: dies resultiert aus seiner vorangehenden Eigenschaft. Und wer weiß besser als der Übersetzer von der Einheit und Verschiedenheit der Bedeutungen des Menschenseins und der Welt, die sich in den Worten offenbaren, die der Mensch und die Natur stiften, zu berichten?"